Es ist 14 Jahre her, dass Jochen Distelmeyer dem Diskurs-Texter und Hamburger-Schule-Vordenker Kristof Schreuf (Brüllen, Kolossale Jugend) auf dem Blumfeld-Album Testament der Angst ein liebevolles Denkmal setzte. »Anders als glücklich / hat Kristof Schreuf gesagt / hier nochmal schriftlich / von einem der laut denkt und sich sagt / ich seh das ähnlich / und bring es zu Papier / das macht mich ehrlich / und vielleicht hilft es Dir«, hieß es da in »Anders als glücklich«. Nun zitiert Distelmeyer Britney Spears‘ »Toxic« in seinem neuen Video – und Schreuf denkt laut darüber nach:

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„Eine facettenreiche Geburtstagsfeier für eine trostlose Gestalt, die sich auch noch treu geblieben ist, seit Herbert Marcuse ihr glückliches Bewusstsein und ihre versklavte Zufriedenheit erforschte.
1964 tat es beim Zahnarzt mehr weh als heute, und für eine schnelle Übermittlung von Nachrichten verschickte man Telegramme. Technologisch geht’s seitdem voran, aber das Denken, das mit der Kritik der Verhältnisse erst beginnt, ist verdrängt vom Funktionieren im Bestehenden. Informiertheit und Verblödung sind verschwistert.
Als Herbert Marcuse, einer der Denker der »Kritischen Theorie«, diese Zusammenhänge zu entschlüsseln versuchte, inspirierte er damit große Teile der »Rebellion von ’68«.
Was er ätzend als »Hölle der Gesellschaft im Überfluß« benannte – das damalige Wirtschaftswunder mit reguliertem Arbeitsmarkt und wachsendem Konsum – ist heute der Himmel vieler Progressiver.
An diesem Abend wird er erforscht mit Songs, die auf Passagen aus dem »Eindimensionalen Menschen« basieren. Außerdem wird – unakademisch, aber auf den berüchtigten »gesunden Menschenverstand« verzichtend – rezitiert, dialogisiert und gestritten, ob und warum der Philosoph sich irrte. Da das Ensemble weder ein Lehrstück plant noch den Lehrer spielen will, zieht es sich zwar nicht vor aller Augen aus, verheimlicht aber nicht, dass sich auch in seinen Mitgliedern manch Eindimensionalität festgesetzt hat. Man soll ja, lehrte der Systemkritiker, misstrauisch gegenüber seinen Bedürfnissen sein. Entgegen landläufiger Meinung stammen sie nicht aus dem »tiefsten Innersten« und zeugen auch nicht von Authentizität …

Eine Koproduktion mit dem steierischen herbst festival, Graz, und dem Polittbüro, Hamburg.“

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Kristof Schreuf

Für Yearniverse, John Mounty, Helpful Henry und Gisela

1969

Frau Gietzelt saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Ecke des Klassenzimmers und schälte Orangen. Sie warf die Schalen in den neben ihr stehenden Abfalleimer, während sie aß. Dabei lächelte sie aus ihren grünen Augen. So ging das jede Pause. Frau Gietzelt war Lehrerin in der Hamburg-Schule, Barmbek.

 

Mittags ging ich nach Hause. Meine Schuhe schoben die von den Pappeln am Gehweg gefallenen Blätter zur Seite. Ich dachte an Frau Gietzelt, bis ich am Abend vor dem Fernseher saß.

 

Das ZDF zeigte »Die Odyssee« nach dem berühmten Epos des Dichters Homer. Es ging um die Rückkehr des griechischen Helden Odysseus vom Trojanischen Krieg in seine Heimat Ithaka, zu seiner Frau Penelope und seinem Sohn Telemach. Odysseus wollte die erlebten Schrecken vergessen. Deshalb stürzte er sich unterwegs in Liebesabenteuer. Als er Penelope endlich wiedersah, spann er Seemannsgarn, um die Wahrheit für sie weniger schmerzhaft klingen zu lassen. So erfand Odysseus zum Beispiel ein Ungeheuer mit sechs Köpfen, außerdem einen Wasserstrudel, einen Zyklopen mit einem Auge und nicht zuletzt Nymphen und Zauberinnen. Meistens, behauptete Odysseus, wäre er damit beschäftigt gewesen, diesen Bedrohungen zu entkommen.

 

Die Fernsehbilder von seinen erfundenen Abenteuern begeisterten mich. Ihre Wirkung wurde zusätzlich von der Filmmusik verstärkt, einer der schönsten Erfindungen, die Menschen je gemacht haben.

 

In Verbindung mit den Abenteuern des Odysseus bezauberte mich die Musik, bis ich anfing, im Kopf die Ereignisse umzuschreiben. So bin ich Künstler geworden. Bei mir ging Homers Geschichte so: Wenn sich Odysseus auf seinem Schiff den Sirenen nähert, verzichtet er darauf, an einen Mast gebunden zu werden. Der Gesang der Sirenen schärft ihm die Sinne.

 

Während er ihn hört, wirft er einen Blick auf seine Gefährten. Mit ihnen hat er gegen die Trojaner gekämpft, Seite an Seite, Jahr um Jahr. Unter ihnen seine besten Freunde. Aber zwischen den Schlachten, in denen sie ihre Schwerter immer gekonnter geführt und die Pfeile ihrer Bögen immer zielsicherer getroffen haben, wechselten sie kaum noch Worte. Als Troja schließlich erobert war, hatten sie sich alles gesagt.

 

Die Sirenen klingen jetzt immer näher. Dagegen liegt Ithaka an einem weit entfernten Ort, der Vergangenheit heißt. Keiner schafft es dorthin zurück. Das könnte Odysseus seinen Getreuen auch sagen, doch die haben sich ja Wachs in die Ohren gestopft. Angeblich, um sich beim Rudern nicht ablenken zu lassen. In Wirklichkeit aber, um sich ungestört einzureden, daß es sich bei den Sirenen bloß um ein paar aufdringliche Weiber handelt, die jedem Ahnungslosen Schuhbürsten und Zeitungsabonnements an dessen Haustür verkaufen.

 

Odysseus geht zum Heck des Schiffs, hebt den Kopf und breitet die Arme aus. Seine Gefährten schauen ungläubig. Dem Krieg konnten sie zwar entkommen, doch beträchtliche Teile ihrer Nervensysteme sind in Troja geblieben. Odysseus, glauben sie, verliert in diesem Moment seinen Verstand. Sie rudern schneller. Er springt auf die Reling, dreht sich zu ihnen um und beginnt zu lächeln. Einige der Männer nässen sich ein. Odysseus läßt sich ins Wasser fallen. Als er auftaucht, sieht er das Schiff schon in ziemlicher Entfernung. Er schwimmt los und fragt sich dabei, ob eine der Sirenen so aussieht wie Frau Gietzelt.

Dezember 1971

Ich saß vor mehreren Tellern mit Lebkuchen. Verwandte hatten sie auf ihren Wohnzimmertisch gestellt. Im ZDF lief der »Seewolf« nach dem gleichnamigen Roman und weiteren Geschichten von Jack London.

 

Dieser Abenteuervierteiler erzählte die Geschichte von einem Kraftprotz und einem Schwächling, von einer Lese- und einer Landratte, vom Kapitän des Robbenfängers »Ghost« und einem Literaten, kurz, von Wolf Larsen und Humphrey van Weyden. Jeden Advent, vier Sonntage lang, fochten diese beiden miteinander einen Strauß nach dem anderen aus. Meistens an Bord des Schiffes, zwischendurch, in Rückblenden, als Jugendliche in San Francisco und als Hobos unterwegs in Kalifornien.

 

Odysseus hatte noch Ärger mit den Göttern bekommen. Jack London dagegen stattete seinen Kapitän Larsen zwar noch mit »übermenschlicher Kraft g aus, schickte ihn aber in menschliche Konflikte. Erst recht Van Weyden. Auch diese beiden konnten um eine Frau kämpfen wie die Griechen und die Trojaner um die schöne Helena. Aber außerdem unterhielten sie sich, lernten sich kennen und konnten sich gegenseitig beeindrucken. So lernte ich vom Fernsehen, daß es für ein Abenteuer zwei Freunde braucht. Genauso wie für einen eigenen Film.

1972

Roni Zucker hatte vor sich einen Notenständer und darauf ein Notenheft stehen. In seinem Unterrichtszimmer in der Musikschule in der Schwalbenstraße zeigte er seinem Gitarrenschüler Läufe von Bach und Etüden von Beethoven. Anschließend Läufe von Beethoven und Etüden von Bach. So ging das eine ganze Weile. Irgendwann, zwischendurch, spielte Herr Zucker etwas, was auf keinem Notenblatt stand. Ich war ein bißchen überrascht, freute mich aber auch und fragte ihn, was er gespielt hatte. »Das kannst du auch«, erklärte Herr Zucker, und ich war begeistert, weil ich mir die Freiheit, die sich mein Lehrer rausnahm, auch selber erlauben sollte. Mit ein paar wenigen improvisierten Takten hatte er mich auf den Geschmack gebracht. Von nun an verwendete ich einen guten Teil meiner Freizeit darauf, Melodien zu erfinden. Ich legte einfach los, zum Teil aus Jux, zum Teil aber auch aus der Ahnung, daß in mir alle sieben musikalischen Weltmeere rauschten.

1973

Das Gymnasium Hartzloh lag in der Nähe der Hamburg-Schule. Doch als ich dort hinkam, fühlte ich mich trotzdem, als wäre ich in eine ganz andere Welt geraten. Meine Mitschüler mochten Pop- und Rocksongs. Sowas kriegte ich zwar mit, aber seit der »Odyssee« und dem »Seewolf« hörte ich nun mal am liebsten Filmmusik. Darüber wollte ich reden. Von mir aus mit jedem, der sich am Hartzloh dazu bereit fand. Das waren wenige.

1980

Mein Freund Jan und ich hatten uns von der Deutschlehrerin Irina Kunz eine Super-8-Kamera geliehen. Damit drehten wir einen Agentenfilm. Ich lernte, wieviel Arbeit Zusammenarbeit machen kann.

 

Die Premiere von »Es ist nun mal mein Job« fand im Hörsaal des Hartzloh statt. Danach sah ich in die Augen meiner anwesenden Mitschülerinnen und Mitschüler. Sie hatten kaum etwas Besonderes von mir erwartet. Doch das war vor dem Film. Jetzt schauten sie mich mit scheuen, ungläubigen Blicken an. Sie waren baff. Eine von ihnen war Sybille Lüders. Ich hatte sie in einer Schultheateraufführung von Oscar Wildes »Gespenst von Canterville« erlebt. Da spielte sie die Virginia Otis, die dem Gespenst mitfühlend und ohne Angst gegenübertritt. Sybille war mit freien Beinen aufgetreten. Die waren so schön! Sie war drei Jahre jünger als ich, ging in die achte Klasse, trug langes, mittelgescheiteltes Haar und umgab sich mit einem Duft aus Patschuli und Kaugummi. In ihrem Zimmer hing ein Poster von Paul Stanley, dem Sänger und Gitarristen der Band Kiss. Jeden Abend vor dem Schlafengehen gab Sybille Paul Stanley einen Gute-Nacht-Kuß, wovon ich nicht begeistert war. Sybille wurde meine erste große Liebe.

1981

Es ging nicht sehr lange gut mit uns. Eines Abends hatten wir einen furchtbaren Krach. Am nächsten Morgen ging ich die paar Straßen meines Schulwegs. Ich bog in den Langenfort ein, an dem die Schule lag. Passierte das Eingangstor. Kam ins Gebäude. Ging ins Sekretariat. Ließ mir meine Papiere geben. Unterschrieb irgendwas. Ein bißchen fühlte ich mich wie in Trance, aber gleichzeitig hüpfte mein Herz vor Aufregung. Meine Schulzeit war vorbei. Vorbei!

1982

Urlaube sind tückisch und gefährlich. Entfernte Bekannte erfahren dabei in kurzer Zeit so viel übereinander, daß sie für den Rest ihres Lebens nichts mehr voneinander wissen wollen. Langjährige, gute Freunde sind hinterher mal welche gewesen. Und schwer verliebte Paare treten als tief gekränkte Singles die Rückfahrt an. Zwei von ihnen waren Sybille und ich. Wenige Wochen in Thessaloniki und Nea Michaniona in Griechenland hatten uns auseinandergebracht.

 

Danach brach die Welt zusammen. Na ja, Sybille baute sich bald eine neue mit jemand anderem auf. Aber ich wollte unsere alte Welt zurückhaben. Manchmal will ich das noch heute.

 

Inzwischen war ich Zeitsoldat bei der Bundeswehr geworden. Unter der Woche diente ich als Unteroffizier in der Eiderkaserne in Rendsburg. An den Wochenenden, die ich in Hamburg verbrachte, bin ich Sybille noch das eine oder andere Mal über den Weg gelaufen. An der Barmbeker-Ring-Brücke. In der Alten Wöhr. Auf der Fuhlsbüttler Straße. Dann leierte sich jeder drei, vier verdruckste Erkundigungen raus. Wie es ginge. Was man so mache. Ob man die oder den noch sehen würde. An jedem Wort konnten wir hören, daß es aus war. Sybille begann sich für mich in ein Stück Musik zu verwandeln. Sie wurde eine Platte, die mein Gedächtnis immer wieder auflegte.

1983–1987

Ich wollte in einer Hardrock’n’Roll-Band spielen. Um Mitmusiker zu finden, gab ich Anzeigen im Stadtmagazin Oxmox auf. Es folgten Telefonate und Verabredungen mit Schlagzeugern, Bassisten und Keyboardern. Zum Proben trafen wir uns in Kellern, Büroräumen, Bunkern und sogar ehemaligen Polizeiwachen. Sahen wir uns öfter als einmal, gingen wir hinterher noch einen heben. Ab und zu hatten wir auch einen Auftritt. Doch nach einer Weile löste ich die Band auf und gründete eine zweite. Mit der erlebte ich dasselbe wie mit der ersten. Genauso mit der dritten, vierten und fünften. Jedes Mal riß mir der Geduldsfaden. Denn mit der Musik lief es anders als beim Film. Als Regisseur schrieb ich eine Szene, ging los und drehte. Dann kam ich wieder in meine Einzimmerwohnung im Erdgeschoß der Barmbeker Dennerstraße, wo ich mittlerweile wohnte. Dort begann ich zu schneiden, zu synchronisieren und komponierte den Score, also die Filmmusik. Wenn ich an einem Film arbeitete, kamen die Mitwirkenden noch nicht mal auf die Idee, mir reinzureden. Musiker leider dauernd. Im Lauf der Jahre habe ich ihre weiteren Eigenschaften kennengelernt. Ehrgeiz finden sie anstrengend. Leidenschaft ist ihnen peinlich wie ein Pubertätspickel. Und Eleganz halten sie für einen Tick von Homosexuellen. Das Problem an Bands sind die Musiker.

1990–1991

Ich stand auf der Bühne der Westfälischen Kammerspiele Paderborn. Wir spielten ein Stück von Carlo Goldoni. Oder Joe Orton. Oder Herb Gardener oder anderen. Nach Vorstellungen hetzte ich zu Fernsehdreharbeiten. Waren die beendet, raste ich zurück zur nächsten Aufführung. Das gehörte zu meinem Alltag als festes Ensemblemitglied. Vor meinem Engagement in Paderborn hatte ich meinen Abschied von der Bundeswehr genommen, in einem halben Jahr die Schauspielschule absolviert und einen Vertrag mit den Kammerspielen unterschrieben. Nach einem Jahr hätte ich ihn verlängern können. Ich hätte mir etwas aufbauen sollen. Ich hätte können, ich hätte sollen. Aber dann verlängerte ich lieber doch nicht.

 

Denn ich wollte mehr. Für meine Schauspielerkollegen war das viel zu viel. Denen schien es zu genügen, ihrem Beruf nachzugehen. Offiziell war das der gleiche wie meiner, aber tatsächlich trennten uns Welten. Denn ich bereitete mich auf meinen zweiten Beruf vor: Über rote Teppiche gehen. Hingerissene Fans begrüßen. Autogramme schreiben, während ich Interviews gab. Bären, Palmen und Oskars gewinnen. Am Tag nach einer Preisverleihung von meinem Agenten erfahren, daß Steven Spielberg gerade am Telefon für mich ist. Mit dem weltberühmtesten Regisseur in Hollywood zu Mittag essen und so weiter. Doch wenn ich aus den Kammerspielen raustrat, kam ich nach wie vor nur durch die Straßen von Ostwestfalen-Lippe. Ich setzte mich mit gesenktem Kopf in Bars, grübelte und fragte mich: »Warum merken nicht mehr Leute, daß ich ein Genie bin?«

 

In mir wirbelte es. Künstlerisch war ich längst auf der Höhe, und doch fühlte ich mich oft traurig und elend.

 

Der Grund dafür war, daß ich nach wie vor den sogenannten üblichen Weg ging. Den hatte ich schon früher kennengelernt, erst auf der Schule und danach beim Bund. In Paderborn machte ich die Erfahrung, daß selbst Schauspielern der übliche Weg genügte. Er brachte ihnen Rollen im Repertoiretheater und zwischendurch kleine Einsätze in Fernsehkrimifamilienserien ein. Doch für mich führte er nie über die Filme, die ich drehen und die Musik, die ich spielen wollte. Deshalb kam der übliche Weg für mich nicht in Frage. Daran änderte sich auch nichts, wenn ich mich ein ums andere Mal auf ihn verirrte, weil er »Sicherheit« oder eine »Perspektive« bot. Auf dem üblichen Weg kam ich mir vor wie ein Geisterfahrer meines Lebens.

1997

In einer Pause zwischen zwei Theaterengagements gründete ich noch einmal eine Band. Dieses Mal zerstritten wir uns schon kurz vor dem ersten Auftritt.

 

Wie konnte es dazu kommen? Nun, ich bin selbstbewußt, wenn es um meine Kunst geht, um Filme und Musik. Aber im Umgang mit den meisten Menschen – und gerade auch denen, die ich mag und die mir etwas bedeuten – geht mir jedes Selbstbewußtsein verloren. Dieser Unterschied hat sehr oft zu Reibungen geführt. Mit Jan während der Arbeit an »Es ist nun mal mein Job«. Mit Sybille. Später mit Musikern und Schauspielern.

 

Manchmal kam es mir dabei vor, als würde ich mich beim Streitsuchen beeilen. Dann wollte ich jemandem zuvorkommen. Bevor er sich mit mir überwarf, würde ich mich mit ihm überwerfen.

 

Dabei hatte ich wirklich nichts dagegen, mich mit Leuten zu verstehen. Trotzdem hat sich das in meinem Leben sehr oft als schwierig herausgestellt. Dafür gibt es noch einen zweiten Grund: Es hat mir einfach nie einer gezeigt, wie so was geht. Deshalb weiß ich nicht genau, was das ist: mit jemandem gut Kirschen essen.

 

Wenn ich es herausgefunden habe, erzähle ich weiter.

 

Kristof Schreuf wurde 1963 geboren, sang in den neunziger Jahren für die Band Kolossale Jugend und seitdem für die Band Brüllen. Er schreibt unter anderem für Spex und die FAZ und sitzt an einem Roman, der bald erscheinen wird. Am 31.12.2011 erschien von ihm an dieser Stelle der Essay »Immer wieder erste Platten«.

Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2013/05-25/005.php

(c) Junge Welt 2013

http://www.jungewelt.de

Mark Chapman und Suhrkamp

Dezember 20, 2012

Der Hamburger Unternehmer Hans Barlach verfügt über die finanziellen Mittel, um mit Investitionen Zeit totzuschlagen. So zieht er seit Jahrzehnten von dieser Boulevard- weiter zu jener Fernsehzeitung, weil er nachschauen will, ob er sich aufdrängen und Ärger machen kann. Letzteren macht er seit einigen Jahren auch als Minderheitsgesellschafter des Suhrkamp-Verlags, den er übernehmen möchte.

Für sein Verhalten braucht er keine Gründe, und er verfolgt auch keine Absichten. Was er tut, dient nur dem einen Zweck, endlich mal die Sau rauszulassen, die viel zu lang drinnen gehalten werden musste.

Am Montag hat er beim Berliner Landgericht erwirkt, dass die Geschäftsführung des Suhrkamp-Verlags gehen und Schadensersatz zahlen soll. Barlach legt es auf Schaden an. Hat ihn das im Lauf der Zeit blind gemacht? Hat er immer noch nicht begriffen, dass weder Autorinnen oder Autoren noch die Mitarbeiter und die Leitung des Verlags an einer Zusammenarbeit mit ihm interessiert sind?

Die Antwort darauf ist, dass er das nicht verstehen will. Barlach erwartet, überall und von jedem mit offenen Armen empfangen zu werden. Wenn es jemand wagen sollte, dieser Erwartung nicht zu entsprechen, ist Barlach bereit, dessen ganzen Laden aufzuhalten. Dafür genügt es ihm aber nicht, bloß die Energien und Konzentration von Mitarbeitern und Geschäftsführung zu binden. Auch, wenn die dringend für Wichtigeres benötigt würden. Nein, Barlach, der aus nichts als Ressentiments und Aggressionen besteht, geht es um viel, viel mehr. Er will die Literatur verhindern. Und um das zu schaffen, entwickelt er einen mörderischen Ehrgeiz. Hans Barlach möchte für Suhrkamp unbedingt das werden, was Mark Chapman für John Lennon wurde.

 

Kristof Schreuf, 12.12.2012

Die Band 206 veröffentlicht am 31.08.2012 ihre Single „Ein freundlicher Geist“. Sie enthält drei Stücke, und eins davon ist eine Coverversion von Bourgeois With Guitar. Dessen ursprüngliche Fassung hat Tobias Levin produziert und er und ich haben es geschrieben. „Ein freundlicher Geist“ erscheint als Vinyl und als Download bei Ritchie Records.

Kristof Schreuf

Viel Arbeit: Mit dem regisseur Klaus Lemke in Berlin-Kreuzberg. „Geht bloß nicht mit Absichten dorthin. Denn die landen fast immer im Massengrab der guten Absichten.“

taz, 10.6.2012

30 Jahre Abwärts, Neubauten, Palais Schaumburg, 25 Jahre Cpt. Kirk &, 20 Jahre Blumfeld, zehn Jahre Parole Trixi – bei Alfred Hilsberg stapeln sich die Jubiläen

Es ist 1976, und Alfred Hilsberg traut seinen Augen und Ohren nicht. Er läuft in London Menschen über den Weg, von denen jeder einzigartig aussieht und einer wilder als der andere. Sie treffen sich, um eine aggressive, schlimm-schöne Musik zu hören oder gleich selbst zu spielen. Der Journalist aus Norddeutschland ist überwältigt.
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Tobias Levin in Twitterlänge: In jungen Jahren Gitarrist bei Die Erde, später Sänger, Songschreiber und Gitarrist bei Cpt. Kirk &, seit Jahren Produzent, einflußreich und wichtig, nicht nur für Hamburg.
Tobias bringt Lieblingsplatten mit. So war´s geplant. Dann brachte Tobias zur Aufzeichnung noch Kristof Schreuf mit, der ebenfalls Lieblingsplatten mitbrachte. Zusammen eine Kiste von über hundert Platten und noch mal 50 CDs. Eine davon ist „Bourgeois with Guitar“, das tolle Album von Kristof Schreuf, das Tobis Levin produziert hat. Wie diese Arbeit vor sich ging, darüber wird geredet bei „Was ist Musik“.

Sendung vom 18.12.11, hier im Archiv

 

Über den Protest-Song.

Juni 14, 2011

Auf der richtigen Seite
Über den Protest-Song.

In den sechziger Jahren erreichte der Protest-Song seine größte Popularität. Zwischen zwei Liedern. Das eine ist „Masters of War“, das Bob Dylan 1963 veröffentlichte. Den Anlaß für das Stück lieferte die Abschiedsrede des US-Präsidenten Eisenhower, in der dieser als erster vor dem Einfluß des „militärisch-industriellen Komplexes“ warnte. Gemeint waren Politiker, Militärs und die Industrie sowie ihre Verbindungen untereinander. Dylan wirft ihnen in „Masters of War“ alles an den Kopf, was sie verdient haben. Sie „bauen, um zu zerstören“. Sie sind für ihn Feiglinge, denn sie „verstecken sich hinter Wänden und Schreibtischen.“ Das, was sie tun, würde ihnen „noch nicht mal Jesus vergeben.“ Dylan ruft ihnen gegen Ende zu: „Ich hoffe, daß ihr sterbt.“
„Masters of War“ wurde geschrieben, um es der Bedrohung entgegenzuhalten. Das Stück war die stumpfe, buchstäbliche Version einer betagten Formel der Surrrealisten: „Kunst als Waffe“. Es bestand vor allem aus einer gut gemeinten Absicht und der Sicherheit, richtig zu liegen. Der Protest-Song, wie ihn Dylan damals, und zum Glück nicht allzu lang spielte, hatte die Toten gewissermaßen vor sich. Das wirkte. Den Rest des Beitrags lesen »

Motor.de: Vor deiner Soloplatte bist du ja recht lange von der Bildfläche verschwunden. Was hast du getrieben mit all der Zeit?

Kristof Schreuf: Es ging musikalisch einiges, aber ich hab mir zu viel vorgenommen und dann verzettelt. Ich wollte ein Buch schreiben, dann wollte ich gern auf der Platte eines Freundes, den ich für einen tollen Singer/Songwirter halte, Gitarre spielen und mit ihm zusammen an der Platte arbeiten. Mit einem anderen Freund wollte ich einen Film machen und gleichzeitig die nächste Brüllen-Platte angehen. […]

Kristof Schreuf im Interview mit Motor.de